Die Caritas ein halbes Jahr
nach der Flut
19.1.2022 | Mit großer Macht haben die
Ereignisse eine ganze Region über Nacht ins
Chaos gestürzt. Niemand im Ahrtal wird die
Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021
vergessen und jeder hat seine eigene
Geschichte. Während das Ahrtal in aktuellen
Pressemeldungen kaum noch eine Rolle
spielt, sind allein die materiellen Schäden – je
weiter man sich auf den Weg ahraufwärts
begibt – immer noch deutlich sichtbar. Von
einer unvorstellbaren Macht abgebrochene
hohe Eisenbahnbrücken, offene Häuser,
staubige oder verschlammte Straßenwege.
Ein Chaos, durch das sich die Caritas-
Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter seit der
Flut Stück für Stück arbeiten. Denn die
materiellen Schäden stehen für das, was die
Flut mit den Menschen im Ahrtal gemacht
hat. Der Caritasverband Rhein-Mosel-Ahr e.V.
hat vom ersten Tag an alle zur Verfügung
stehenden Kräfte zur Bewältigung dieser
Aufgabe mobilisiert. Bis Ende August wurden
1.600 Hilfesuchenden Soforthilfen
ausgezahlt.
Der vor der Geschäftsstelle aufgestellte Bürocontainer
bietet den Caritasmitarbeiterinnen (von links) Katharina
Steinich, Silvia Plum, Marianne Theis-Prodöhl und Nicole
Piclum einen weiteren Ort für Gespräche, denn die
Menschen brauchen viel psychosoziale Unterstützung. |
Foto: Caritas
Silvia Plum, Fluthilfekoordinatorin der Caritas
Ahrweiler, steht vom Tag 1 an helfend den
Menschen zur Seite, eine Aufgabe, für die es
viel Leidenschaft und einen langen Atem
braucht. Ohne die Unterstützung der Mit-
arbeiterinnen der benachbarten Caritas-
verbände Bonn und Koblenz und von der
Caritasgeschäftsstelle Mayen wäre diese
Aufgabe nicht zu bewältigen. Wichtig war
und ist die Hilfe vor Ort. Die Mitarbeiterinnen
gehen in die Gemeinden, um mit den
Menschen ins Gespräch zu kommen. Dann
hören die Fachkräfte das Erlebte. Und nicht
selten werden im Gespräch Trauma-
Folgeschäden deutlich, sodass die Menschen
zu weiterführenden Gesprächen ins Trauma-
Hilfezentrum begleitet werden. „Die Leute
trauen sich nicht aus dem Stadtgebiet raus
und müssen begleitet werden. Die Hemm-
schwelle ist zu groß, alleine ins Trauma-
Hilfezentrum zu gehen“, erklärt Silvia Plum.
Über 700 Haushaltsbeihilfeanträge liegen
jetzt zur Bearbeitung vor uns. Ein Teil konnte
schon bewilligt und ausgezahlt werden, so
die Fluthilfekoordinatorin: „Haushalts-
beihilfen sind ein gutes Vehikel, um die
psychosoziale Verfassung der Menschen zu
erfassen. Dann wird schnell deutlich, welche
Bedarfe sie haben. Einige leiden unter
Schlafstörungen oder die Kinder werden
unruhig, wenn es draußen regnet oder die
berufliche Situation ist unklar, da auch der
Arbeitsplatz betroffen ist.“
Dabei gibt es bei der Caritas auch ganz
praktische Hilfen: Bautrockner konnten
ausgeliehen werden, elektrische Heizkörper
wurden verschenkt oder Hilfesuchende
wurden bei Fragen zum Thema Wohnen an
die zuständigen Stellen weitervermittelt.
Silvia Plum: „Mehr als zehn Personalstellen
für psychosoziale Beratung und Begleitung,
Sozialraumarbeit, baufachliche Beratung
sowie Beratung in Wohn- und
Schuldenfragen sind Teil unseres Konzeptes,
deren Hilfeleistungen vom Adenauer Raum
bis nach Sinzig reichen.“ Gerade selbst-
verständliche Dinge fehlen, die erst wieder-
aufgebaut werden müssen. Dazu zählt auch
die Möglichkeit zum heilsamen Austausch
unter Betroffenen. Mit verschiedenen
Treffpunktcafés konnte insbesondere die
ältere Generation erreicht werden. Die
„Wintertreffs“ im Kurpark, am Moses-
Parkplatz und in Walporzheim sind mit ihrem
bunten Familienprogramm für Groß und
Klein unverzichtbare Begleiter durch die
dunkle Jahreszeit. „In der Not können im
Grunde kleine Dinge zum großen Problem
werden“, weiß Silvia Plum und berichtet von
einem jungen Mann, der in der Flut seinen
Motoroller verloren hat und nicht mehr zur
Arbeit fahren konnte. „Über die Härtefall-
klausel konnten wir den Roller ersetzen.
Einem älteren Ehepaar, das sich wegen der
Einbruchsgefahr nicht mehr vor die Tür
traute, besorgten wir ein massives Sicher-
heitsschloss. Jetzt nehmen sie wieder am
Leben teil. Beim Ausfüllen der Anträge
erfahren wir mehr über die Nöte der
Menschen und können ihnen in ihrer
psychosozialen Situation oder bei der Ver-
mittlung von Sachspenden helfen.“ Die Nöte
der Menschen ändern sich. Geblieben sind
die seelischen und materiellen Wunden. Die
Caritas war vor der Flut da, half in der Not
und wird auch nach der Flut die Menschen
im Ahrtal begleiten. Silvia Plum weiß, dass
uns das Thema über viele Jahre begleiten
wird.